Oder anders gefragt: Ist der moderne Backpacker der neue Pauschaltourist?
Wir leben in einer Zeit, in der das Reisen unglaublich einfach, fast schon zu einfach, geworden ist. Ab in den Campervan, Flieger, Bus oder mit ausgestrecktem Finger an den Straßenrand und in ein paar Stunden später ist man in einem anderen Land mit fremder Kultur und neuen Eindrücken.
Informationen zu Reiseländern gibt es im Internet en masse, von Reisebloggern, sozialen Medien oder Reiseportalen. Jeder findet in Sekunden was er sucht. Und dennoch überkommt einen beim scrollen durch Social Media und Reisewebseiten oft das Gefühl, dass alle Backpacker/Urlauber in dieselben Länder oder bestimmte Regionen dieser Länder reisen.
Aber warum ist das so? Warum sind einige Länder gehyped und überrannt, während anderen, wie der Ukraine, Usbekistan oder Kasachstan, so wenig Beachtung geschenkt wird?
In diesem Blogpost werden wir uns der Frage widmen, wieso gefühlt alle in dieselben Länder reisen und ob die Angst vor dem Unbekannten dabei eine Rolle spielen könnte.
Ist es nicht die Freiheit, die wir beim Reisen suchen? Fremde Kulturen, beeindruckende Landschaften, anderes Klima und freundliche Menschen. Wachsen, seinen Horizont erweitern, sich frei fühlen und vielleicht noch etwas für das eigene Leben mitnehmen.
Aber kann man diese Freiheit überhaupt noch finden, wenn man von abertausenden Touristen umgeben ist, sich für Fotos anstellen muss oder an überfüllten Instagram Hot Spots unterwegs ist?
Backpacker? All Inclusive Tourist? Sind wir im Grunde alle gleich?
Differenzieren sollte man hier zwischen dem All Inclusive Touristen, der oft keine große Lust verspürt, abseits der Pfade zu reisen und Neues zu entdecken - und dem Backpacker, der im Grunde genommen ja für den Gegensatz des Pauschaltouristen steht. Möglichst nicht in den klassischen Reiseländern absteigen, und wenn doch, abseits der ausgelatschten Pfade reisen, in die Kultur eintauchen, das Land einmal anders kennen lernen. Backpacker wollen individuell sein, abseits vom Schuss reisen. Wie "richtige" Abenteurer eben.
Aber entspricht das der Realität? Ist der Begriff Backpacker mittlerweile nicht schon verwaschen und steht er überhaupt noch für das große Abenteuer?
Gefühlt reisen Backpacker in dieselben Länder und gefühlt ist das Wort Backpacker bei weitem nicht mehr das, was es einmal war. Zumindest unserer Definition nach. Heutzutage reicht es, sich einen brandneuen Rucksack mit Plastikblume aufzusetzen, in ein hippes Instagram Hostel in Südostasien einzuchecken und zack: Ist man ein Backpacker. Der Social Media Feed anderer Backpacker dient hierbei oft als Inspiration.
↠ Die Realität: Verunsicherter Blick am überfüllten Busbahnhof im fremden Land und Freude und Erleichterung darüber, wenn jemand um einen herum Englisch oder Deutsch spricht. Zum Kaffee trinken geht's in die möglichst westlich angehauchten Kaffeeketten und zum Frühstück gibt's "landestypische" Pancakes. Zum Mittag gesellt man sich dann selbstverständlich in ein Streetfood Lokal, in dem im besten Fall schon andere "Weiße" sitzen. Do you have an english menue?
Danach noch schnell zum begehrten Fotospot, um Menschen, die man nicht einmal kennt, zu beweisen, dass man "total frei" und ein richtiger Abenteurer ist. Ich habe das Land gesehen, ich habe ja ein Foto von einem Einheimischen, der in die Kamera lächelt.
Damit das alles klappt und es so schnell wie möglich voran geht, hat sich der Backpacker von heute natürlich schon eine To-do-Liste mit allen "Geheimtipps" aus dem Internet parat gelegt und grast diese jetzt nacheinander in einer optimierten Route ab. Denn was wäre die eigene große Reise bloß, wenn man den Zuhausegebliebenen nicht demonstrieren könnte, dass man alle tollen Sehenswürdigkeiten, die man aus dem Internet so kennt, nicht selbst gesehen hat.
Man belügt sich selber und bekommt es nicht mal mit. Abenteuer pur!
Für uns sind Backpacker der alten Schule Abenteurer. Richtige Abenteurer! Individualreisende. Menschen, die sich keinen Kopf machen, was heute oder morgen passiert. Denen egal ist, was andere machen. Die das Handy/Wifi auch mal ausschalten und sich treiben lassen. Die mit ihrem Flow gehen, sich nicht beeinflussen lassen und sich Länder anschauen, die für den Pauschaltouristen und "neumodische" Backpacker zu "heikel" oder "uninteressant" sind. Sich Herausforderungen stellen und etwas über den Menschen im fremden Land kennen lernen wollen. Die mit Einheimischen Zeit verbringen und echte Gespräche führen wollen. Nicht nur oberflächliches Blabla mit dem Kellner, dem Tourguide oder der Masseuse.
Die keine Angst vor dem Neuen haben, die Dinge riskieren, um zu wachsen. Um zu lernen. Die keine Ahnung haben, wohin sie ihre Reise am Ende führen wird. Einfach losgehen und schauen was passiert. Eine kalte Dusche oder ein paar Tage gar keine Dusche? Niemand in der Gegend, der die gleiche Sprache oder gar Englisch spricht? Einheimische Kost probieren, ohne zu wissen, was genau drin ist? Kein Problem.
Richtige Abenteurer eben. Inspirierenden Menschen, denen man am Lagerfeuer oder Bierchen aufmerksam lauscht und die die verrücktesten Geschichten erzählen, die sie eben nicht an Touri Hotspots, sondern mit Einheimischen erlebten.
Es kommt einem manchmal vor, als ob die neue Generation der Backpacker, die nur Pfaden anderer folgt, die heutige Form von Pauschaltouristen ist.
Bloß nichts riskieren, sondern einfach dahin, wo schon etliche andere Backpacker vor einem unterwegs waren. Da weiß man wenigstens was man bekommt.
Aber was sind dieselben Länder eigentlich?
Als erstes wäre da der Klassiker: Südostasien. Natürlich gibt es diese gehypten und überrannten Länder auch auf anderen Kontinenten, aber in Asien ist der südöstliche Teil der wohl beliebteste bei Backpackern aus aller Welt.
Einfach zu bereisen. Günstig. Populär. Egal ob Thailand, Vietnam, Kambodscha oder Malaysia. Man fühlt sich dort gut aufgehoben. Aber warum?
Es gibt so ziemlich an allen Backpacker-Hot-Spots Pancakes oder Smoothiebowls, englische Beschilderung oder westliche Cafes/Restaurants. Es ist günstig, man begegnet anderen Backpackern, kann sich im immer gleichen Smalltalk austauschen und die Infrastruktur/Fortbewegung ist perfekt auf die Bedürfnisse von Rucksackreisenden abgestimmt.
Außerdem sieht man online immer und immer wieder dieselben Bilder und Geschichten zu diesen Ländern. Diese suggerieren unterbewusst das Gefühl, dass man es selber genau so einfach haben kann. Es wirkt vertraut. Man kann sicher sein, dass man sein Geld richtig investiert. Denn wenn es Millionen schon vor mir getaugt hat, ist die Chance groß, dass ich auch das große Los ziehen und eine unvergessliche Reise erleben werde.
Mit Sicherheit spielt die Angst vor dem Unbekannten eine Rolle. Länder, die keinen guten Ruf in unserer Gesellschaft haben, sei es durch einseitige und negative Berichterstattung der Medien oder einfach durch Fehlinformationen, wecken nicht das Interesse der Backpacker-Masse. Ost Timor, Papua Neuguinea, Angola oder Algerien stehen sicher nicht auf jedermanns Liste. Aber wieso? Bieten sie nicht genau das, was Abenteurer und Backpacker suchen? Weg vom Massentourismus, rein ins authentische Reisen? An Orte, die eben noch nicht für den Massentourismus ausgebaut sind.
Die Sprachbarriere
Die Angst vor der Sprachbarriere wäre sicher auch denkbar, denn in den klassischen Reiseländern gibt es immer Einheimische, die zumindest ein paar Bröckchen Englisch sprechen. Man braucht sich also keinen Kopf zu machen. Und wenn man selber nicht gut Englisch spricht, trifft man mit großer Wahrscheinlichkeit jemanden, der helfen kann.
Ein anderer denkbarer Aspekt wäre es, wenn man z.B. Veganer/Vegetarier und sagen wir mal in abgelegenen Dörfern in Georgien unterwegs ist. Kein Wifi, keine Übersetzungs-App die funktioniert, also auch keine Möglichkeit Einheimischen zu erklären, was seine bevorzugte Ernährungsart ist. In gehypten Backpacker Ländern/Inseln wie Bali kein Problem. Überteuerte vegane Smoothiebowls gibt es an jeder Ecke.
Gesellschaftlicher Druck
Neben der Angst vor dem Unbekannten, dem Risiko Geld auszugeben und eben keinen "Traumurlaub" zu erleben und der Beeinflussung von Reiseblogs und Social Media, gibt es mit Sicherheit noch Dutzende anderer Faktoren.
Angst über den Tisch gezogen zu werden? Gesellschaftlicher Druck? Alle waren in Thailand, also muss ich auch dorthin, um mitreden zu können. Es zieht den modernen Backpacker an Orte, die man schon "kennt". Länder wie Thailand, Kambodscha oder Australien stehen so ziemlich auf jeder Reiseliste.
Den Film The Beach hat gefühlt ebenso jeder Rucksacktourist gesehen und die Illusion im Kopf nach dem Anschauen ist wahrscheinlich ähnlich. Ich auf einer einsamen Insel, mitten im Nirgendwo, umgeben von Gleichgesinnten Free Spirits, die alle ihr Ding machen. Weg vom Trubel. Einfach sein.
Der Realität und dem Reisestil des heutigen Backpackers entspricht das oft nicht mehr, denn
man muss sich vorstellen, dass aufgrund von Overtourism (zudem natürlich auch Backpacker beitragen) mittlerweile einige Länder bestimmte Orte geschlossen haben, damit sich das Ökosystem und die Natur erholen kann. Vor dem rücksichtlosen Touristen, dem nur wichtig ist, dass er eine gute Zeit hat. Die bei Backpackern so beliebte Maya Bay aus The Beach gehört auch dazu.
Der Mensch ist ein Rudeltier. Er hat ein unterbewusstes Bedürfnis danach, dazuzugehören und um es auf den Punkt zu bringen:
Die meisten Menschen sind nicht so individuell wie sie gerne wären.
Und andere Länder?
Die werden komplett außen vor gelassen. Kasachstan? Was soll ich da? Plattenbauten anschauen? Mich beklauen lassen? Osttimor? Noch nie gehört! Will ich nicht hin! Das ist bestimmt gefährlich da!
Es herrscht ein Ungleichgewicht. Der Spirit des Backpackers geht langsam verloren und wird massentauglich.
Aber ist das überhaupt wichtig? Kann nicht jeder Reisen wie er möchte?
Natürlich! Wir sind große Freunde von leben und leben lassen. Was nur auffällt an der heutigen Gesellschaft ist die Doppelmoral. Das Vorspielen und heucheln. Sich besser darstellen, als man ist. Dinge erfinden, um bewundert zu werden. Den Mitmenschen sein "perfektes Leben" präsentieren, das man nicht hat.
Man steckt sich selbst in Schubladen um dazuzugehören. Kategorisiert sich selber, obwohl man so weit vom ursprünglichen Backpacker Spirit weg ist, wie ein Schiff am Bahnhof.
Es geht leider oft nicht mehr um das Abenteuer oder darum, den Moment bewusst zu erleben; wichtiger ist die Illusion. Die Anerkennung. Das eigene Ego. Das perfekte Foto.
Beim Backpacken geht es gefühlt heutzutage nicht mehr um den ultimativen Abenteuerkick abseits des Massentourismus. Vielen reicht es, mit hunderten anderen an einem Strandabschnitt zu relaxen oder inmitten dutzender Anderer Aussichten zu genießen.
Backpacken ist nicht immer glamourös. Nicht immer einfach. Nicht immer unmittelbar erfüllend. Nicht immer so, wie man es sich vielleicht zuvor in seinem Kopf ausgemalt hat. In diesen Momenten kann man das Gefühl bekommen, versagt zu haben, wenn man - wie viele junge Menschen heutzutage - sein Leben (unterbewusst) mit Social Media vergleicht.
Social Media
Ein ganz großes Thema im Bezug auf Vermittlung unrealistischer Reisemomente. Es werden perfekte, menschenleere Bilder von überlaufenen Tourispots hochgeladen. Immer und immer wieder sieht man dieselben Motive. Tausend Mal im Feed gesehen. Öde Streetart auf Penang, die bunten Treppen der Batu Caves, die T-Rex Halbinsel auf Lombok, irgendwelche Nest-Schaukeln auf Bali, für die man bezahlen muss, um ein Foto auf ihnen schießen zu dürfen.
Und dann sitzen Millionen (junger) Menschen zuhause und denken sich: Geil, da muss ich auch hin.
Nur um dann irgendwann vor Ort zu sein und festzustellen, dass die perfekten Fotos im Netz menschenleer retuschiert waren oder es am Ende doch nicht so toll aussieht, wie erwartet. Denn die perfekten Fotos setzen den Standard hoch. Manchmal zu hoch. Die Erwartungen, die das Bild vermittelt, können oft nicht eingehalten werden. Und dann sitzt man da und ist enttäuscht.
Spiegelt das nicht perfekt unsere Gesellschaft wieder? In der man sich gerne blenden lässt?
Die Mehrheit zieht es vor, Pfaden anderer zu folgen, anstatt ihren eigenen Weg zu gehen. Da ist es egal, ob "individueller" Backpacker oder Pauschaltourist.
Sich selber zu informieren und etwas rauszusuchen, über das es noch keine 5 Millionen Webseiten gibt, wäre mit Arbeit verbunden.
↠ Einfacher ist: Gehirn aus, Social Media an. Selber denken? Fehlanzeige. Und so passiert es, dass einige Länder unserer Erde vom Massentourismus überrannt und Ökosysteme und Kulturen zerstört werden. Für das perfekte Foto, für den perfekten Augenblick. Ohne Rücksicht auf Verluste. Nach mir die Sintflut. Who cares! Wie nennt man es doch gleich? Yolo.
Social Media suggeriert das perfekte Leben. Statussymbole verschieben sich. Was oft vergessen wird ist, dass so ziemlich jedes Bild bearbeitet ist und nur einen Sekundenbruchteil zeigt. Einen einzigen Moment. Der genau so schnell verflogen ist, wie er kam. Die Zeit drumrum, der Struggle den es vielleicht gab, dieses eine Bild zu schießen, oder die anstrengende Wanderung dorthin werden einfach unter den Teppich gekehrt. Wichtig ist, dass es perfekt aussieht. Ohne Substanz.
Schlusswort
Jeder von uns hat andere Ansprüche, Ideen, Orte oder Dinge, die einen auf Reisen glücklich machen. Was auch völlig legitim ist, wenn die verwaschene, oft falsche Berichterstattung und Doppelmoral nicht stattfinden würde, in der alles nur beschönigt wird.
Aber so ist unsere Gesellschaft nun mal in vielen Teilen:
Es interessiert nur wenige Menschen, wer du wirklich bist, sondern in erster Linie, was du darstellst!
Und so ist das eben auch mit den Reisen!
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